Erding/Lengdorf, 2. Oktober 2018 – Wie ist es, Kind zu sein? Wie war es, selbst Kind zu sein? Wenn das Leben im Hier und Jetzt stattfindet? Immerfort. Wenn nur der Augenblick zählt? Diesem Hier und Jetzt in der Kindheit ging Claus Langheinrich in einem fotografischen Langzeitprojekt nach. Acht Jahre hat er die Kleinen fotografiert: in Afrika, Europa, Südamerika, Indien und Zentralasien und dabei Höhen und Tiefen von Kindern ausgeleuchtet. Und ausgelotet, was Kindsein ausmacht. Aus dieser Arbeit zeigt er ab 21. Oktober im Klinikum Erding 39 großformatige Farb- und Schwarzweißfotos. Die Vernissage findet am Dienstag, 23. Oktober ab 19 Uhr statt. Musik: Kinder- und Jugendchor Buch am Buchrain unter der Leitung von Regina Maier.

Nicht als Vater, sondern als Fotograf und damit auch abseits der gängigen Klischees von Familienalben hat Langheinrich die Kinder beobachtet und Momente des Glücks, der Angst, der Hoffnung, des Schmerzes, der Geborgenheit und der Selbstzweifel aufgenommen. Es sind keine der oftmals überdrehten, gestellten und aus aufwändig inszenierten Setups produzierten Bilder. Langheinrich zeigt vielmehr stille und laute, mit seiner Kamera in Bruchteilen von Sekunden eingefrorene Momente. Entstanden sind eindringliche Bilder aus Alltagssituationen, die Kindsein darstellen: Wenn der Mund der Kleinen vom Eisschlecken verschmiert ist, wenn sie beim Seilspringen glückselig in die Kamera schauen oder mit ihrem Papa, auf dem Motorrad sitzend, stolz wie ein siegreicher Rennfahrer um die Jurte sausen, dann fühlt sich der Betrachter der Bilder mitten im Geschehen, hineingezogen in ein visuelles, vielfach energiegeladenes Erlebnis.

In vielen Bildern sehen Langheinrichs Protagonisten den Betrachter mit großen, oftmals fragenden Augen an. Man spürt geradezu die Kälte, welcher der äthiopische Junge aus den Simien-Mountains mit seinem Bademantel trotzt. Völlig entrückt erlebt man die Kleine aus Togo beim Lesen eines Bilderbuches, während ihre Mama schläft. Ganz im Bewusstsein, dass sie fotografiert wird, präsentiert sich das kleine Mädchen mit grünem Sonnenschirm, gelber Sonnenbrille und weißer Perlenkette beim Naadam-Fest in der Mongolei.

Aus der breiten Palette der fotografierten Gefühle klammert Langheinrich Hunger, Armut und Elend nicht aus. So schweift der Blick des kleinen indischen Jungen traurig in die Ferne, während er auf dem Schoß seines Opas sitzt, dem das Leben tiefe Falten in das Gesicht zementiert hat. Und auch die auf der Straße wohnenden indischen Kinder erzählen durch ihre gegenseitige Hingabe und die sie umgebenden Stoffbündel ein Stück Lebensgeschichte, ohne den Fotografen anklagend anzusehen. Tristesse und Fragilität des noch jungen Lebens, das leidvolle, hoffnungslose Verlorensein sind in nur einem Bild in eindrücklicher wie bedrückender Ästhetik dargestellt. Ganz zufrieden wirkt daneben der indische Bub auf der Türschwelle, der wohl noch eine Weile barfuß durchs Leben gehen wird.

“Kinder haben eine eigentümliche Magie. Ihre Natürlichkeit und Naivität machen sie zu Prototypen des Fotogenen”, sagt der Lengdorfer Fotograf. Als studierter Pädagoge weiß er natürlich, dass sie auch “durchaus wissend Komiker sein können. Sie beherrschen schon frühzeitig große Posen, wissen, wie sie ihre inszenierten Auftritte gestalten, wenn sie ihre Rechte verteidigen oder Wünsche erfüllt bekommen wollen.”

Kritisch, mitunter selbstzweifelnd erlebt der Ausstellungsbesucher dann die etwas älteren Kinder, wenn sie sich, in den Spiegel schauend, selbst begutachten oder wenn sie posenhaft, schon ein wenig kokett und eitel, wissend um ihre Wirkung auf Erwachsene, die Kameralinse fokussieren, wie der usbekische Junge aus Tashkent.

Aber auch “zuckersüße Schmusekätzchen”, schüchterne Blicke und Freude ausstrahlende Gesichter jenseits von Posen, Imitationen und Selbstproduktionen hat der ehemalige Schulamtsdirektor authentisch eingefangen und zusammen mit den anderen Bildern zu einer Reportage über die Kindheit verdichtet, die er mit “!Kinder! Kinder!” – geschrieben mit drei Ausrufezeichen – betitelt. Dass er dieses Thema im Klinikum Erding bis zum 4. Januar 2019 präsentiert, ist nicht ohne Grund: Seit einem Jahr hat dort die Geburtshilfe wieder ihren Betrieb aufgenommen. (pm/hd)

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